Eines meiner Alltagsrituale ist das „sang“ oder Riwo Sangchö (Tibetisch: རི་བོ་བསང་བསང་མཆོད་), wörtlich, die „Rauch-Opfergabe für den Berg“. Der Name erinnert mich an die vielen Jahre, die ich im Andenraum verbrachte: Bolivien, Peru, Ecuador und andere. Das Räuchern mit Heilpflanzen von Menschen, Haus, Gemüsegarten oder Tieren ist so verankert in jeder Heilzeremonie. Besonders bei den Kallawaya aus dem Nordosten Boliviens, den Medizinmännern, die die Inka auf Sänften getragen haben und die in der Antike von Panama bis Patagonien für ihre Heilkünste bekannt waren. Jede „Limpia“ oder „Reinigung“, sei es wegen Krankheit, Liebeskummer oder Jobverlust, beginnt mit dem Räuchern. Der Rauch und Duft der Heilpflanzen, die Gebete an die vier Himmelsrichtungen, an die Berge der Umgebung oder andere Berge des Landes, die Sprüche und Wünsche, die der Medizinmann ausspricht, sind der Beginn jeder Behandlung und ein gutes Omen für die Zukunft. Eines der wenigen Elemente, das ich als Andenken aus den Anden mitgebracht habe, ist eine einfache Tonschale zum Räuchern sowie die vielen Erinnerungen an die wunderbaren Zeremonien.
Jahre später habe ich das tibetische Riwo Sangchö erlebt und auch die tiefere Bedeutung dieser Zeremonie erfahren. Es geht hier um ein Ritual, das der große Lehrer Guru Rinpoche im 7. Jahrhundert als „Terma“ (versteckter Schatz) verborgen hat und das Tertön (Person, die einen versteckten Text oder Schatz findet) Lhatsün Namkha Jikmé (1597-1653) offenbart wurde. Das Wort Sang hat im Tibetischen die Bedeutung von Beseitigen, Reinigen oder Erwachen oder auch „ununterbrochene Opfergabe an die Berggötter“. Es ist aber mehr als das.
„Sang“ bringt Nutzen für alle Menschen und alle fühlenden Wesen. Der Nutzen beginnt bei der Person und ihrer Familie und strahlt auf Freunde, ihre Stadt, ihr Land, die Erde und das Universum aus. Der Rauch verwandelt sich in einen Boten der Großzügigkeit, der jeden Bereich erreicht. Dies ist die beste Praxis, um Hindernisse zu beseitigen und sowohl vorübergehende als auch langfristige Wünsche zu erfüllen.
Ein weiteres Ziel von Sang ist es, unser „Lungta“ (Lebenskraft oder Glück) zu erhöhen. Es wird unseren Wohlstand vermehren, Glück eröffnen und die wesentlichen Elemente unserer eigenen Praxis stärken. Diese Sang-Praxis ist einer der schnellsten Wege, um unsere karmischen Schulden zurückzuzahlen, und sie dient auch dazu, alle Verletzungen zu reparieren, die wir wissentlich oder unwissentlich begangen haben. Sang wird auch zur Reinigung des Raumes, der Umgebung und des persönlichen Besitzes verwendet.
Üblicherweise wird ein Feuer in einem sauberen Gefäß oder Brenner entzündet mit gesammeltem Holz, Anzündholz, aromatischen Hölzern, Kiefernzapfen und Kiefernzweigen, Harzen, Heilpflanzen, den drei weißen und den drei süßen Substanzen (Joghurt, Milch und Butter; Zucker, Melasse und Honig) und allen Arten von Weihrauch und Pulver. Das Feuer mit duftendem Rauch lockt die Geister des Landes an. Das Ritual wird von Gebeten begleitet und es hinterlässt ein wunderbares Gefühl von Glück und Zufriedenheit.
In einigen meiner Kurse erleben wir gemeinsam ein Sang Ritual. Ich freue mich auf Eure Fragen und Kommentare!
Tashi Delek
Rodica
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